brexit Justin Tallis/Stringer

Die Geografie der Wahlen

PARIS – In vielen Ländern lässt sich anhand des Wohnorts der Menschen gut vorhersagen, wen sie wählen werden. Besonders sichtbar war dies auf den wahlgeografischen Landkarten der Volksabstimmung vom Juni über den Austritt Großbritanniens aus der Europäische Union. Ein ähnliches Muster kann bei der Stimmenverteilung der US-Präsidentschaftswahlen von 2012 oder der französischen Unterstützung für Marine Le Pens Nationale Front bei den Regionalwahlen von 2015 beobachtet werden. Und sehr wahrscheinlich wird dies auch auf die nächsten US-Präsidentschaftswahlen zutreffen. Viele Bürger leben an Orten, wo ein großer Teil ihrer Nachbarn ebenso wählt wie sie selbst.

Diese Wahlgeografie ist ein Zeichen für eine tiefe wirtschaftliche, soziale und bildungsmäßige Kluft. In wohlhabenden Städte, wo sich Akademiker sammeln, wird meist für international orientierte und oft der linken Mitte angehörige Kandidaten gestimmt, während in Bezirken der unteren Mittelklasse oder Arbeiterklasse handelskritische Kandidaten bevorzugt werden, die häufig nationalistisch und politisch rechts ausgerichtet sind. Dass Städte wie New York, London, Paris oder Berlin Bürgermeister der linken Mitte haben, während kleinere, wirtschaftlich schwache Städte rechte Politiker bevorzugen, ist kein Zufall.

Regionale oder lokale Wahlmuster sind so alt wie die Demokratie selbst. Neu ist allerdings eine wachsende Korrelation räumlicher, sozialer und politischer Polarisierung, die zu einer Entfremdung der Bürger untereinander führen. Wie Enrico Moretti von der Universität von Kalifornien in Berkeley in seinem Buch The New Geography of Jobs betont, ist diese neue Teilung unverkennbar: In den reichsten städtischen Gebieten der USA besteht die Hälfte der Bewohner aus Akademikern, während diese in schlechter gestellten Gegenden viermal weniger zahlreich sind.

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