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Den richtigen Rückzug finden

NEW YORK – Es herrscht allgemein Konsens darüber, dass die massiven Konjunkturpakete, monetären Anreize und die Unterstützung des Finanzsystems durch Regierungen und Zentralbanken in der ganzen Welt verhindert haben, dass die tiefe Rezession von 2008 bis2009 zur Großen Depression Nr. 2 wurde. Entscheidungsträger in der Politik konnten eine Depression abwenden, weil sie aus den politischen Fehlern der Großen Depression in den 30er Jahren und der Beinah-Depression in Japan in den 90er Jahren gelernt haben.

Daraufhin verlegte man sich in den politischen Debatten auf die Frage, wie der Aufschwung aussehen würde: V-förmig (schnelle Rückkehr zu potentiellem Wachstum), U-förmig (langsames und kraftloses Wachstum) oder sogar W-förmig (ein weiterer Abschwung vor einer endgültigen Erholung). Während des freien Falls der Weltwirtschaft zwischen dem Herbst 2008 und dem Frühling 2009, tauchte auch ein L-förmiges Armageddon immer wieder im Strauß der plausiblen Möglichkeiten auf.

Die entscheidende Politikfrage, die vor uns liegt, ist jedoch, wie die Rückzugsstrategie aus den massiven Geld- und Steuererleichterungen zeitlich und vom Ablauf her zu bewerkstelligen ist. Der derzeitige finanzpolitische Weg, der in den meisten entwickelten Ländern verfolgt wird, also große Haushaltsdefizite bei gleichzeitiger Anhäufung riesiger Schuldenberge, wie in den USA, der Eurozone, in Großbritannien und in Japan, ist auf Dauer unhaltbar.

Die großen Haushaltsdefizite wurden teilweise von den Zentralbanken monetisiert, was in einigen Ländern die Zinssätze auf null Prozent drückte (in Schweden sogar unter null) und die Geldbasis durch unkonventionelle quantitative und kredittechnische Erleichterungen stark anhob.

Wird diese Kombination von sehr lockerer Finanz- und Geldpolitik nicht umgekehrt, führt sie irgendwann unweigerlich zu Finanzkrise und gallopierender Inflation, zusammen mit einer weiteren gefährlichen Vermögens- und Kreditblase. Das wichtigste Thema für Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft ist also, zu entscheiden, wann die überschüssige Liquidität beseitigt und die Politik wieder normalisiert wird – und wann die Steuern angehoben und Staatsausgaben gekürzt werden (und in welcher Kombination).

Das größte Risiko ist, dass die Rückzugsstrategie aus Monetär- und Finanzhilfen schwierig zu gestalten ist, weil Politiker alles falsch machen können, wenn sie sich zurückziehen, und alles falsch machen können, wenn sie es nicht tun. Wenn sie große, monetisierte Haushaltsdefizite angehäuft haben, müssen sie früher oder später die Steuern anheben, die Ausgaben kürzen und die Überliquidität beseitigen.

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Das Problem ist, dass die meisten Volkswirtschaften sich jetzt gerade erholen, wenn man also die Steuer- und Finanzanreize jetzt schon kappt, bevor sich also die Privatnachfrage nachhaltig erholen kann, könnte dies die Volkswirtschaften wieder zurück in die Deflation und Rezession treiben. Japan hat diesen Fehler zwischen 1998 und-2000 gemacht, genau wie die USA zwischen 1937 und 1939.

Wenn aber die Regierungen große Haushaltsdefizite beibehalten und sie weiter monetisieren, werden irgendwann, nachdem die derzeitigen Deflationskräfte gebändigt sind, die Anleihenmärkte rebellieren. Wenn das geschieht, steigt die Erwartung einer Inflation, langfristige Regierungsanleihen werden ansteigen, Hypothekenzinsen und Privatmarktzinsen werden in die Höhe schießen und schließlich hätten wir eine Stagflation (Inflation und Rezession).

Wie also können wir die Quadratur des politischen Kreises bewerkstelligen?

Zunächst mal haben unterschiedliche Länder je nach anfänglichem Defizitniveau, existierender Schuldenlast, Zahlungsgeschichte und politischer Glaubwürdigkeit unterschiedliche Fähigkeiten, die Staatsverschuldung aufzufangen. Kleinere Volkswirtschaften, wie einige europäische, mit großen Defiziten, wachsender Staatsverschuldung und Banken, die zu groß sind, um zu scheitern und zu groß, um gerettet zu werden, müssen eine finanzpolitische Anpassung früher vornehmen, um fehlgeschlagene Versteigerungen, niedrigere Bewertungen und das Risiko einer Krise der Staatsfinanzen zu vermeiden.

Wenn die Entscheidungsträger sich aber – bald – glaubhaft zu einer Anhebung der Steuern und Senkung der öffentlichen Ausgaben bekennen, zum Beispiel ab 2011, wenn der wirtschaftliche Aufschwung robuster ist, wächst das Vertrauen der Märkte, was eine Lockerung der Finanzpolitik ermöglicht und die kurzfristige Erholung stärkt.

Zudem müssen Finanzpolitiker die Kriterien benennen, die sie anwenden werden, um den Zeitpunkt für einen Rückzug aus den Hilfsmaßnahmen zu bestimmen, und wann und wie schnell die Situation wieder normalisiert wird. Auch wenn die Konjunkturpakete eher später als früher auslaufen – wenn die wirtschaftliche Erholung stärker ist -, brauchen Märkte und Investoren schon vorher Klarheit darüber, welche Parameter für Zeitpunkt und Geschwindigkeit der Auslaufphase angelegt werden. Es muss auch daran gedacht werden, Vermögenswerte wie Immobilien in die Geldpolitik mit einzubeziehen, um eine neue Anlagen- und Kreditblase zu verhindern.

Es ist überaus wichtig, bei der Rückzugsstrategie keine Fehler zu machen: ernsthafte politische Fehler würden die Gefahr einer erneuten Rezession erhöhen. Zudem ist das Risiko eines solchen politischen Fehlers groß, weil die Wirtschaftspolitik von Ländern wie den USA dazu verleiten könnte, schwere Entscheidungen über nicht tragbare Haushaltsdefizite hinauszuschieben.

Die Versuchung, die Inflation zu benutzen, um den realen Wert von öffentlichen und privaten Schulden zu reduzieren, kann für Regierungen überwältigend sein. In Ländern, in denen die Forderung nach einer Legislaturperiode der Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen politisch schwierig ist, ist die Monetisierung von Defiziten und letztendlich die Inflation möglicherweise der Weg des geringsten Widerstands.

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