acemoglu22_jackie niam_getty images_globe Jackie Niam/Getty Images

Das verlorene Vermächtnis der Zwischenkriegsgeneration

CAMBRIDGE – Für die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geborene Zwischenkriegsgeneration wären die heutigen Krisen nicht außergewöhnlich. Angehörige dieser Generation haben weit Schlimmeres erlebt: die zwei blutigsten Kriege der Menschheitsgeschichte, Massenarbeitslosigkeit und Elend aufgrund der Weltwirtschaftskrise (die die Rezessionen dieses Jahrhunderts noch immer in den Schatten stellt) und weit gravierendere Bedrohungen der Demokratie in Form des sowjetischen Kommunismus, des Faschismus und Hitlers Nationalsozialismus.

Dennoch sind die Kalamitäten von heute womöglich schwieriger zu lösen als in der Vergangenheit, weil die meisten dieser Probleme durch globale Governance angegangen werden müssten und die ist derzeit Mangelware. Zwar trug die Globalisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch zur wachsenden Ungleichheit und zur Destabilisierung der Volkswirtschaften bei, und die Weltwirtschaftskrise war in hohem Maße eine Systemkrise, die ihren Ursprung in den Vereinigten Staaten hatte und über die internationalen Märkte die meisten anderen Länder in Mitleidenschaft zog. Letzten Endes jedoch lagen die grundlegenden Probleme, die die Zwischenkriegsgeneration lösen musste, auf der Ebene des Nationalstaates.

Die politischen Entscheidungsträger der damaligen Zeit erkannten, dass makroökonomische Instabilität, unregulierte Marktwirtschaften und wachsende Ungleichheiten die Hauptursachen für die meisten ihrer Probleme waren. Durch Experimente mit institutionellen Maßnahmen und die Formulierung neuer Ideen legten sie den Grundstein für den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat. Makroökonomisches Management, progressive Besteuerung und Umverteilung, gesetzliche Bestimmungen zum Mindestlohn, Vorschriften zur Sicherheit am Arbeitsplatz, staatliche Krankenversicherung und Altersversorgung sowie ein soziales Sicherheitsnetz für die Bedürftigsten wurden zur Norm.

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