haass142_DALE DE LA REYAFP via Getty Images_xijinpingmilitary Dale de la Reya/AFP via Getty Images

Xi Jinpings Machtdemonstration

NEW YORK – In den vergangenen zwei Wochen drehte sich in den Vereinigten Staaten ein Großteil der außenpolitischen Gespräche um die Frage, ob die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, Taiwan hätte besuchen sollen. Befürworter der Reise verweisen darauf, dass es einen Präzedenzfall gibt – ein ehemaliger Sprecher des Repräsentantenhauses und Kabinettsmitglieder hatten ebenfalls Taiwan besucht – und dass es angesichts des wachsenden Drucks aus China für offizielle Vertreter von Bedeutung ist, das amerikanische Engagement für Taiwan zu betonen. Kritiker argumentierten hingegen, die Reise hätte zum falschen Zeitpunkt stattgefunden, da der chinesische Präsident Xi Jinping wohl das Bedürfnis verspüren würde, darauf zu reagieren, um im Vorfeld eines entscheidenden Parteitags im Herbst keine Schwächen erkennen zu lassen. Überdies bestanden Befürchtungen, dass der Besuch Xi dazu veranlassen könnte, Russlands Aggression in der Ukraine stärker zu unterstützen.

Doch die große Aufmerksamkeit für Pelosis Besuch ist fehl am Platz. Die zentrale Frage lautet vielmehr, warum China die Reise nicht einfach nur kritisierte, sondern mit Import- und Exportverboten, Cyberangriffen und Militärübungen reagierte, die eine erhebliche Eskalation gegenüber allen bisherigen Maßnahmen zur Bestrafung und Einschüchterung Taiwans darstellen.

Nichts von alledem war unausweichlich. Die chinesische Führung verfügte über Optionen. Sie hätte den Besuch Pelosis ignorieren oder herunterspielen können. So aber wurden wir Zeugen einer bewussten Reaktion – oder genauer gesagt, Überreaktion.  Ausmaß und Vielschichtigkeit der Antwort deuten darauf hin, dass sie von langer Hand geplant war. Das wiederum legt eine andere Vermutung nahe: hätte Pelosis Besuch nicht stattgefunden, wäre wohl eine andere Entwicklung zur „Rechtfertigung“ des chinesischen Vorgehens angeführt worden.

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