riekeles2_zmeelGetty Images_euro zmeel/Getty Images

Die Eine-Billion-Euro-Frage der EU

BRÜSSEL – Der russische Einmarsch in der Ukraine hat die Europäische Union in eine weitere tiefe wirtschaftliche und politische Krise gestürzt. Doch während der Krieg die unmittelbare Ursache der steil steigenden Gas-, Brennstoff- und Strompreise ist, liegen die Wurzeln der aktuellen Probleme Europas viel tiefer. Die Anfälligkeiten des europäischen Energiesystems sind mindestens seit 2008 offensichtlich. Doch die EU hat zu langsam darauf reagiert und es versäumt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um eine größere Resilienz sicherzustellen.

Unser aktuelles Zeitalter der „Permacrisis“ unterstreicht, dass Europa rascher und entschlossener auf Erschütterungen reagieren muss. In den letzten Monaten haben die europäischen Regierungen ihre Abhängigkeit von russischen Gasimporten erheblich verringert. Diese fielen von 45 % im vergangenen Gesamtjahr auf nun lediglich 5–6 %. Doch reicht es nicht aus, die russischen Importe lediglich zu ersetzen; Europa muss zudem seinen Verbrauch reduzieren. Um die ernsten Auswirkungen auf die Mitgliedsstaaten, die privaten Haushalte und die Industrie auszugleichen, bedarf es EU-weiter Solidaritätsmechanismen.

Bisher sind derartige Bemühungen enttäuschend verlaufen. Deutschlands viel kritisiertes Rettungspaket im Volumen von 200 Milliarden Euro, das darauf zielt, Unternehmen und Haushalte vor den steil steigenden Energiepreisen zu schützen, ist ein Musterbeispiel für das derzeit vorherrschende Einzelkämpfertum. Deutschlands Versuch, sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Nachbarn zu verschaffen, könnte einen Subventionswettlauf auslösen, der die Energiepreise weiter in die Höhe treibt. Angesichts der Interdependenz der EU-Mitgliedstaaten und der Volkswirtschaften des Euroraums ist diese Fragmentierung wirtschaftlich und politisch toxisch.

https://prosyn.org/9WOuzKNde