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Das europäische Interesse an der Schließung Guantánamos

BRÜSSEL – Jahrelang forderte die Europäische Union lautstark die Schließung des Gefängnisses in Guantánamo. Nun, da US-Präsident Barack Obama die entsprechende Entscheidung traf, steht die EU bereit, die Vereinigten Staaten politisch und praktisch bei der Umsetzung dieses Ziels zu unterstützen.    

Wir teilen die Einschätzung Präsident Obamas, der erklärte: „Guantánamo wurde zu einem Symbol, das der Al-Kaida geholfen hat, Terroristen für ihre Sache anzuwerben. Wahrscheinlich brachte die Existenz Guantánamos weltweit mehr Terroristen hervor, als dort jemals inhaftiert waren.“  Wir in der EU sind der Ansicht, dass es in unserem gemeinsamen Interesse mit den USA liegt, die Radikalisierung der Menschen und die Rekrutierung von Terroristen weltweit zu verhindern.

Die primäre Verantwortung für die Schließung Guantánamos und die Umsiedlung der Häftlinge liegt in den Händen der USA. Aber die Europäer möchten den USA helfen, dieses Kapitel zu beenden. Aus diesem Grund haben EU-Mitgliedsländer bereits Staatsangehörige und ehemalige Landesbewohner wieder aufgenommen. Aus diesem Grund hat auch Frankreich kürzlich einen algerischen Ex-Häftling aufgenommen. Und ebenfalls aus diesem Grund denken weitere EU-Länder über die Aufnahme von Ex-Häftlingen nach, die demnächst entlassen werden, aber aus zwingenden Gründen nicht in ihre Ursprungsländer zurückkehren können. Wir in der EU erwarten von den USA, dass sie diesem Beispiel folgen. Wenn es sicher ist, diese Menschen nach Europa zu entlassen, gilt das auch für die USA.

Allgemeiner stimmen wir Obama zu, wenn er sagt, dass „wir langfristig… die Sicherheit nicht gewährleisten können…wenn wir nicht die Kraft unserer grundlegendsten Werte nutzen” und dass „wir unsere kostbarsten Werte nicht nur deshalb hochhalten, weil es richtig ist, sondern weil es [uns] auch stärkt und Sicherheit verleiht.” Die Erfahrungen der europäischen Demokratien mit einer langfristigen terroristischen Bedrohung zeigen, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit unser größtes Kapital sind. Deshalb haben es die Terroristen auf dessen Zerstörung abgesehen.

Die Schließung von Guantánamo muss von einer grundlegenden Überprüfung jener politischen Strategien begleitet sein, die seine Existenz überhaupt begründeten. Obamas Entscheidungen die „erweiterten Verhörmethoden“ zu verbieten und den Geheimgefängnissen ein Ende zu bereiten sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.

Allerdings sind noch weitere Schritte nötig. Vor allem dem Thema der unbegrenzten Haft ohne Gerichtsprozess muss man sich widmen, um die Wiederholung derartiger Probleme zu verhindern. Daher ist die Überprüfung der Strategien in den Bereichen Arrest, Gerichtsprozesse, Transfer und Verhörmethoden von herausragender Bedeutung. Ungeachtet der Frage, welches Gesetz anwendbar ist, darf es keine Lücken hinsichtlich des Schutzes geben. Die EU wird der Einladung der Obama-Administration zu einem Gedankenaustausch mit der Detention Policy Task Force über relevante internationale Rechtsgrundsätze in der Terrorismusbekämpfung folgen.

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Wir hoffen, dass sich die USA von ihrem Paradigma des „Kriegs gegen den Terror“ abwenden und ihr Konzept von einem globalen bewaffneten Kampf gegen die Al-Kaida überdenken. Kein EU-Mitglied verfolgt einen derartigen Ansatz.

Es besteht ein offenkundiger Unterschied zwischen Personen, die in einen offenen Konflikt wie in Afghanistan und dem Irak verwickelt sind und Terrorismusverdächtigen, die außerhalb eines bewaffneten Konflikts gefangen genommen werden. Hier ist daher eine Überprüfung von Fall zu Fall notwendig.

Wir begrüßen die Tatsache, dass der erste Guantánamo-Häftling in New York vor einem Strafverfahren steht. Die für die Anschläge in Madrid und London verantwortlichen Terroristen wurden ordentlichen Gerichtsprozessen unterzogen. Ein Mitverschwörer der Anschläge vom 11. September 2001 stand in Deutschland vor einem ordentlichen Gericht. In vielen EU-Mitgliedsländern wurde das Strafrecht ausgeweitet und wird nun zur Prävention von Anschlägen genützt. Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation, einschließlich jener, die auf fremden Boden operieren die sowie Ausbildung und Rekrutierung von Menschen für terroristische Zwecke und die Förderung des Terrorismus wurden zu strafrechtlich relevanten Tatbeständen erklärt.

Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus wirft bedeutende rechtliche Fragen auf. Wir freuen uns auf die Fortführung unseres produktiven Dialogs mit dem Rechtsberater des US-Außenministeriums.

Die Bedrohung durch die Al-Kaida ist globaler Natur. Die EU und die USA müssen zusammenarbeiten, um Europas und Amerikas Sicherheit zu gewährleisten. Durch die Schließung Guantánamos und die Bewältigung der zugrunde liegenden politischen Fragen schaffen die USA eine viel stabilere Basis für eine enge Kooperation zwischen EU und Amerika im Bereich der Terrorismusbekämpfung und des Kampfes gegen das internationale Verbrechen – eine Kooperation, die auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten beruht.  Gemeinsam werden die EU und die USA besser in der Lage sein, Gerechtigkeit, Menschenrechte und Freiheit auf der ganzen Welt zu forcieren. Das war und bleibt der nachhaltigste Weg, die Radikalisierung und Rekrutierung von Terroristen zu verhindern.

Die Schließung Guantánamos ist keine Geste, um Applaus aus Europa zu bekommen. Es ist vielmehr eine notwendige politische Korrektur, die den USA, Europa und der Welt mehr Sicherheit verleiht.  

https://prosyn.org/VHdjVndde