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Europas Wettbewerbsfalle

LONDON – Ein fehlerhaftes Verständnis dessen, was das Wirtschaftswachstum antreibt, hat sich als die größte Bedrohung für eine Erholung in Europa entwickelt. Politische Entscheidungsträger in Europa sind besessen von der Idee nationaler „Wettbewerbsfähigkeit“ und sie scheinen wirklich zu glauben, dass Wohlstand mit Handelsbilanzüberschüssen gleichzusetzen ist. Das erklärt größtenteils, warum Deutschland regelmäßig als Beispiel einer starken, „wettbewerbsfähigen“ Wirtschaft angeführt wird.

Allerdings wird das Wirtschaftswachstum auch in traditionell exportorientierten Ökonomien durch das Produktivitätswachstum angetrieben und nicht durch die Fähigkeit, sich einen wachsenden Anteil an den globalen Märkten zu sichern. Obwohl Importe natürlich durch Exporte finanziert werden müssen, lenkt die Konzentration auf die Wettbewerbsfähigkeit von Europas Grundproblem ab – nämlich einem sehr schwachen Produktivitätswachstum. Und das ist in Ökonomien mit Handelsbilanzüberschüssen ein genauso ernstes Problem wie in Ländern mit Defiziten.

Die Vorstellung, das Wirtschaftswachstum wäre von einem Kampf um globale Marktanteile im Bereich der Industriegüter bestimmt, ist für Politiker leicht zu verstehen und so geben sie es auch an ihre Wähler weiter. Ökonomien mit einem Außenhandelsüberschuss werden, ungeachtet ihrer Produktivität oder ihres Wachstums,  als „wettbewerbsfähig“ gesehen. Die Handelsbilanz wird als „Hauptsparte“ betrachtet, so als ob Länder Unternehmen wären. In Wahrheit haben sie nur wenig gemeinsam – die Handelsbilanz ist einfach die Differenz zwischen inländischen Ersparnissen und Investitionen oder, allgemeiner, zwischen Gesamtausgaben und Gesamtproduktion – aber von einer Deutschlang AG oder UK plc zu sprechen, ist eben konzeptionell reizvoll und verführerisch einfach.

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