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Der seltsame Tod des türkischen Säkularismus

JERUSALEM – Die Nachwirkungen des gescheiterten Militärputsches in der Türkei werfen eine grundsätzlich Frage auf: wird Präsident Recep Tayyip Erdoğan weiterhin seinen autoritären Weg beschreiten, womöglich mit noch mehr Nachdruck, oder wird er seinen Widersachern die Hand entgegenstrecken und versuchen, die tiefen Gräben in der türkischen Gesellschaft zu überbrücken?

Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, aber beurteilt man die Situation anhand früherer historischer Beispiele ist festzustellen, dass deutliche Kampfansagen an autoritäre oder halbautoritäre Führer in der Regel zu einer Verhärtung der Regime führen und nicht zu stärkerer Mäßigung. Und Erdoğans Schritte seit dem Zusammenbruch des Putsches - nämlich unmittelbar danach angekündigte Massenverhaftungen und Säuberungen in den Reihen des Militärs, der Richter, der Polizei und Lehrer  -  scheinen ein Beleg für das pessimistische Szenario zu sein.  

Dennoch wäre es ein Fehler die aktuellen Ereignisse in der Türkei ausschließlich durch die Linse der Persönlichkeit Erdoğans und seiner autoritären Neigungen zu betrachten. Er und seine Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) stellen eine tektonische Verschiebung in der türkischen Politik dar, die Parallelen zu anderen Ländern mit muslimischer Mehrheit im Nahen Osten aufweist.

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