Economist in a library Sergei Savostyanov/Getty Images

Wirtschaftswissenschaften mit geisteswissenschaftlichem Gesicht

CHICAGO – In einer Umfrage aus dem Jahr 2006 wurden amerikanische Universitätsprofessoren gefragt, ob es besser sei, über Kenntnisse in mehreren Fachgebieten zu verfügen oder nur in einem. Von den Psychologieprofessoren begeisterten sich 79% über das interdisziplinäre Lernen, ebenso 73% der Soziologen und 68% der Historiker. Am wenigsten enthusiastisch waren die Ökonomen: Nur 42% der Befragten stimmten der Notwendigkeit zu, die Welt durch eine disziplinübergreifende Brille zu verstehen. Ein Beobachter hat es unverblümt so ausgedrückt: „Die Ökonomen glauben buchstäblich, dass sie von niemand anderem etwas lernen können.“

In Wahrheit würden die Ökonomen von einer Ausweitung ihres Fokus stark profitieren. Die Wirtschaftswissenschaften befassen sich mit Menschen und können daher viel von den Geisteswissenschaften lernen. Dies könnte nicht nur ihre Modelle realistischer und ihre Prognosen präziser machen, sondern auch die Wirtschaftspolitik effektiver und gerechter machen.

Ob man sich ansieht, wie man das Wirtschaftswachstum in unterschiedlichen Kulturen steigert, die moralischen Fragen betrachtet, die aufgeworfen werden, wenn Universitäten ihr Eigeninteresse auf Kosten ihrer Studenten verfolgen, oder über zutiefst persönliche Fragen in Bezug auf Krankenfürsorge, Ehe und Familie nachdenkt: Wirtschaftliche Erkenntnisse sind dabei notwendig, aber nicht hinreichend. Wenn diese Erkenntnisse alles sind, womit wir uns befassen, scheitern politische Strategien und die Menschen leiden.

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