Deinvestition in eine bessere Zukunft

SEATTLE – Das beste Maß für die Dynamik einer Bewegung ist bisweilen die Reaktion ihrer Kritiker. Als die Australian National University (ANU) Anfang Oktober ankündigte, ihre Beteiligungen an sieben Unternehmen in den Bereichen Förderung und Produktion fossiler Brennstoffe zu verkaufen, löste sie damit eine Welle der Kritik vonseiten der konservativen Politiker des Landes aus.

Diese vorgeblichen Apologeten des freien Marktes ließen die Universität umgehend wissen, was sie mit ihrem Geld machen soll. Der australische Finanzminister Joe Hockey verunglimpfte die Entscheidung als „realitätsfremd“. Andere stimmten in den Chor ein und bezeichneten den Schritt als „eine Schande“, „äußerst seltsam“ und „engstirnig und unverantwortlich.“  Dies ungeachtet der Tatsache, dass es sich um relativ geringe Summen handelt – weniger als 2 Prozent des geschätzten Portfolios der Universität im Umfang von 1 Milliarde Dollar.

Nun, da die Bewegung zum Ausstieg aus Investitionen in fossile Brennstoffe in Schwung kommt, nimmt auch die Zahl derartiger Panikreaktionen zu. Die Entrüstung der australischen Konservativen erinnert mich an die Reaktionen, die ich erntete,  als ich im Jahr 2013 vor dem US-Kongress aussagte, dass wir „unsere Kohle im Boden lassen sollten, wo sie hingehört“. David McKinley, ein republikanischer Kongressabgeordneter aus West Virginia, dem Zentrum des amerikanischen Kohleabbaus, antwortete, dass ihm meine Worte „kalte Schauer über [seinen] Rücken laufen ließen“. Anschließend wechselte er das Thema und sprach über die Kriminalitätsrate in Seattle, wo ich Bürgermeister war.   

Sogar ExxonMobil scheint beunruhigt zu sein. Vor kurzem veröffentlichte das Unternehmen einen langen Blog-Beitrag, in dem man sich gegen die „lautstarke Rückendeckung“ für die Deinvestition aus fossilen Brennstoffen durch Mary Robinson, der Sondergesandten des UNO-Generalsekretärs Ban Ki-moon für den Klimawandel, wehrte. Die fossile  Brennstoffindustrie betrachtet die Deinvestitions-Bewegung ganz klar als die politische Bedrohung, die sie auch ist. Wenn genügend Menschen Investitionen in die Produktion fossiler Brennstoffe ablehnen, muss der nächste Schritt darin bestehen, Kohle, Öl und Gas tatsächlich im Boden zu lassen.

Dieser Schritt ist notwendig, wenn wir die gefährlichsten Folgen des Klimawandels abwenden wollen. Um zu verhindern, dass die weltweiten Temperaturen um mehr als den Schwellenwert von 2º Celsius steigen -   Klimatologen zufolge ein Wendepunkt, ab dem die schlimmsten Auswirkungen nicht mehr abgemildert werden können – müssen wir ungefähr 80 Prozent der bekannten Reserven an fossilen Brennstoffen unangetastet lassen.   

Öl- und Kohleunternehmen sowie deren politische Verbündete warnen uns vor dem haushaltspolitischen Desaster, wenn das wirklich geschieht – so als ob Hitzewellen, Dürren, Unwetter und steigende Meeresspiegel nicht ebenso für fiskalische und soziale Katastrophen sorgen würden.  Als Bürgermeister von Seattle unterstützte ich die Errichtung energieeffizienter Gebäude, die Entwicklung der Stromgewinnung aus Solar-, Wind-, und Wasserkraft sowie den Umstieg vom Auto auf  zu Fuß gehen, Radfahren und öffentliche Verkehrsmittel – Strategien, die dazu beitragen können, eine belastbarere Wirtschaft aufzubauen und praktikable Alternativen zu fossilen Brennstoffen zu finden. Die schlimmsten Folgen der Klimaerwärmung kann man damit allerdings nicht verhindern, vor allem dann nicht, wenn sie dazu führen, dass Kohle und Öl einfach anderswo verkauft werden.

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So unvollkommen unsere ordnungspolitischen Systeme auch sind, ab einem gewissen Zeitpunkt könnten die Öffentlichkeit und ihre politischen Entscheidungsträger verlangen, dass wir der Wahrheit über die globale Erwärmung ins Auge sehen. Zu diesem Zeitpunkt wird man die für eine dramatische Senkung des Einsatzes fossiler Brennstoffe notwendigen regulatorischen oder rechtlichen Kontrollen einführen. 

Wenn Sie ein besonnener und umsichtiger Investor sind, denken Sie einen Moment über diese Möglichkeit nach. Die Aktienwerte der fossilen Brennstoffindustrie – die auf der Annahme gründen, dass die Unternehmen künftig erfolgreich alle bekannten Reserven fördern und verbrennen – werden drastisch sinken. Investitionen in diese Unternehmen stellen sich als überaus riskant heraus. Wie alle wissen, die mit Anlageprospekten zu tun haben, ist die „Performance in der Vergangenheit keine Garantie für eine positive Wertentwicklung in der Zukunft“.

Diese Realität birgt ein weiteres überzeugendes Argument für Deinvestition. Natürlich werden manche behaupten, die Welt wird sich nie ändern und ewig von fossilen Brennstoffen abhängig bleiben. Aber man muss nur einen Blick nach Seattle werfen, wo homosexuelle Paare im Rathaus heiraten und in lizensierten Läden Marihuana verkauft wird, um die Fähigkeit des Menschen zu erkennen, tief verwurzelte Annahmen zu überdenken. Der umsichtige Anleger und der kluge Firmenchef werden  ihr Augenmerk auf die zukünftige und nicht auf die vergangene Wirtschaftsentwicklung lenken.

Die Entscheidung der ANU  erscheint allen vernünftig, die nicht im Bann der Öl- und Gasunternehmen stehen und im Lauf der Zeit wird sie sich als noch sinnvoller erweisen. Gut gemacht. Als ich Seattle im Jahr 2013 auf den Weg in Richtung Deinvestition brachte, wurde meine Entscheidung von der Öffentlichkeit und von den jungen Menschen gut aufgenommen, die mit den Folgen der globalen Erwärmung leben werden müssen. Angesichts des zunehmenden politischen Drucks müssen die Universitätsverwaltungen nur auf ihre  Studenten hören.

Wir benötigen mehr von dem Mut, den die ANU an den Tag legte. Die Führung der Universität widersetzte sich den Interessen der Kohle- und Ölunternehmen, die in Australien enorme Macht ausüben. Wenn es dieser Universität gelingt, dies unter allgemeinem Beifall zu bewerkstelligen, können andere das auch.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/D6l2PFEde