monga8_EYERUSALEM JIREGNAAFP via Getty Images_ethiopiafactory Eyerusalem Jiregna/AFP via Getty Images

Die große Dienstleistungsillusion

CAMBRIDGE – Während sich die Welt auf die Zeit nach der Pandemie vorbereitet, intensiviert sich das Streben nach einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum immer stärker – insbesondere für die Entwicklungsländer. Es ist verführerisch, diese Länder – den wichtigsten globalen Wachstumsmotor der letzten Jahrzehnte – aufzufordern, ihre Entwicklungsstrategien von der Industrialisierung auf Dienstleistungen zu verlagern. Da neue Technologien es zunehmend ermöglichen, Dienstleistungen genau wie Waren zu produzieren und zu handeln, schlagen einige Ökonomen sogar vor, dass einkommensschwache Volkswirtschaften die Stufe der industriellen Fertigung komplett überspringen und direkt von der traditionellen Landwirtschaft auf den neuen „Wachstumsbeschleuniger“ Dienstleistungen umstellen sollten.

Die Ansicht, wonach Dienstleistungen der neue heilige Gral für Entwicklungsländer sind, fußt u. a. auf empirischen Studien, die zeigen, dass der Handel mit Dienstleistungen seit dem Jahr 2000 und vor allem seit 2011 stärker zugenommen hat als der mit Fertigungswaren. Die von COVID-19 verursachte Störung der globalen Wertschöpfungsketten hat diese Sicht noch verstärkt.

Zudem spalten neue Technologien wie 5G-Netze und Cloudcomputing Dienstleistungsprozesse auf und eröffnen neue Möglichkeiten für das Outsourcing lohnkostenintensiver und teurer Aktivitäten. Diese Trends senken die Mobilitätskosten für Fachpersonal (das sogenannte „Third unbundling“), wodurch bisher nicht handelbare Dienstleistungen handelbar werden. Da die weltgrößten Volkswirtschaften Zollkriege führen und der Welthandel steil abnimmt, betrachten viele Dienstleistungen als geeignetsten Wachstums- und Beschäftigungsmotor, da sie digitalisiert werden können und weniger stark Zoll- und sonstigen logistischen Barrieren unterliegen.

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