davies51_Adrian-Dennis_Getty-Images_bank-of-england Adrian Dennis/Getty Images

Das Produktivitätsparadox verstehen

LONDON – In allen wichtigen Volkswirtschaften gibt das so genannte Produktivitätsparadox Ökonomen und politischen Entscheidungsträgern weiterhin Rätsel auf: die Stundenleistung ist deutlich niedriger als sie es wäre, hätte sich der Wachstumstrend aus der Zeit vor 2008 fortgesetzt. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, insbesondere in Großbritannien, aber auch in der gesamten OECD. Obwohl die Ökonomen selbstverständlich mit zahlreichen scharfsinnigen Erklärungen aufwarten, erwies sich bislang keine als überzeugend genug, um einen Konsens herzustellen. 

Den Daten des britischen Office for National Statistics zufolge lag die Stundenleistung in Frankreich im Jahr 2015 um 14 Prozent niedriger als der Wert, den man unter Annahme der zuvor verzeichneten normalen Trendwachstumsrate erreicht hätte. In den Vereinigten Staaten lag die Produktionsleistung um 9 Prozent niedriger und in Deutschland um 8 Prozent, wobei Deutschland unter den Industrieländern Spitzenreiter blieb, wenn auch nur in relativer Hinsicht. Setzt sich diese neue, niedrigere Wachstumsrate fort, werden die Durchschnittseinkommen in den USA im Jahr 2021 um 16 Prozent niedriger sein als der entsprechende Wert, den die USA bei einem jährlichen Produktivitätszuwachs von etwa 2 Prozent verzeichnet hätten, wie dies seit 1945 der Fall war.

Großbritannien präsentiert sich als besonders chronischer Fall dieses Krankheitsbildes. Im Jahr 2007 lag die britische Produktivität 9 Prozent unter dem OECD-Durchschnitt; bis 2015 weitete sich die Kluft auf 18 Prozent aus. Auffällig ist, dass die Stundenproduktivität in Großbritannien volle 35 Prozent unter dem Niveau Deutschlands und 30 Prozent unter dem der Vereinigten Staaten liegt. Sogar die Franzosen könnten die durchschnittliche Leistung eines britischen Arbeitnehmers in einer Woche erbringen und sich den Freitag trotzdem noch frei nehmen. Es hat also den Anschein, als ob das wirtschaftspolitische Management in Großbritannien zusätzlich zu den Faktoren, die alle entwickelten Ökonomien betreffen, besonders schwach wäre.

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