5c092d0346f86f400c309202_pa3795c.jpg Paul Lachine

Demokratie oder Finanzsystem?

LONDON –  Eine wohlbekannte Taktik unter Finanzkennern ist das „Shorten“. Damit ist gemeint, mit geborgtem Geld gegen einen Vermögenswert zu wetten und den Gewinn aus dem Preisverfall des Vermögenswertes zu erwarten.     

Ein Spekulant kann gegen einen Staat „short gehen“, indem er Anleihen dieses Landes zum aktuellen Preis borgt, in der Hoffnung diese zu einem späteren Zeitpunkt zu einem geringeren Preis wieder zu verkaufen und die Differenz einzustreifen. Zum Beispiel: Am 1. Januar 2010 denke ich mir, dass das Spiel für die Griechen wohl bald aus sein wird. Zum Nennwert borge ich mir von Goldman Sachs für sechs Monate griechische Staatsanleihen mit Fälligkeit 2016  im Wert von 10 Millionen Euro, die zu diesem Zeitpunkt bei 0,91 Euro gehandelt werden. An Goldman Sachs muss ich dafür jene Zinsen bezahlen, die das Institut für diese Anleihe in den sechs Monaten bekommen würde – bei diesem Preis jährlich ungefähr 5 Prozent, somit also 2,5 Prozent oder 250.000 Euro.

Dann verkaufe ich die Anleihe sofort um 0,91 Euro auf dem Markt und bekomme 9,1 Millionen Euro (0,91 x 10 Millionen zum Nennwert). Glücklicherweise trägt meine auf fallende Tendenz gerichtete Erwartung im Mai Früchte, als das volle Ausmaß des griechischen Haushaltsproblems offensichtlich wird. Am 30. Juni, dem Tag, an dem ich die 2016 fälligen griechischen Anleihen im Wert von 10 Millionen Euro wieder an Goldman Sachs retournieren muss, notiert diese Anleihe bei lediglich 0,72 Euro. Ich kaufe also die Anleihe mit Nennwert 10 Millionen Euro zum Kurs von 0,72 Euro zurück, bezahle dafür 7,2 Millionen Euro und gebe die Anleihenzertifikate vereinbarungsgemäß an Goldman Sachs zurück.

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