mogherini3_FABRICE COFFRINIAFP via Getty Images_worldhealthorganizationcoronavirus Fabrice Coffrini/AFP via Getty Images

Der Pandemie zuhören

MAILAND – Noch vor ein paar Wochen hätte keiner bestritten, dass der relevanteste und deutlichste Trend in der Weltpolitik unserer Zeit die Rückkehr zum Nationalstaat sei. Unilateralismus und die Logik des „Nullsummenspiels“ schienen die neue Normalität darzustellen – getreu dem Motto „Damit ich gewinne, musst du verlieren.“ und „Ich zuerst!“.

Diese Formulierungen schienen das unmissverständliche und beinahe unbestrittene Markenzeichen dieses Jahrhunderts zu sein, welchen zudem geografisch und ideologisch nahezu keine Grenzen gesetzt waren: Man fand es in vielen verschiedenen Schattierungen, aber auf jedem einzelnen Kontinent, bei Menschen jeder politischen Orientierung (einschließlich vieler Varianten politischer Bewegungen ohne ein Etikett), in einem breiten Spektrum institutioneller Systeme und sogar bei einigen internationalen Organisationen. Dieser Trend schien sich von Tag zu Tag mehr zu verfestigen; kaum jemand versuchte, für einen kooperativen internationalen Ansatz, Multilateralismus, Win-Win-Lösungen und die Suche nach dem gemeinsamen Nenner sowie gemeinschaftsgestützte Politiken statt einer rein individualistischen Vision der Gesellschaft zu argumentieren.

Heute, da sich die Coronapandemie über die gesamte Welt verbreitet, das Leben vieler von uns gefährdet und die Grundlagen unseres Alltags erschüttert, müssen wir uns fragen, ob dieses Paradigma weiterhin vorherrschen wird. Wird die Pandemie es verstärken, oder gibt es Lehren, die wir aus ihr ziehen werden?

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