Europas Russland

SOFIA: Mit der Ordnung, wie sie sich nach dem Kalten Krieg in Europa darstellte, ist es vorbei, und Wladimir Putin hat sie erledigt. Russlands Einmarsch in Georgien war dabei nur das Zeichen ihres Ablebens. Russland ist aus diesem Krieg als eine wiedergeborene Macht des 19. Jahrhunderts hervorgegangen, die entschlossen ist, die geistigen, moralischen und institutionellen Grundlagen der Europäischen Ordnung nach dem Kalten Krieg in Frage zu stellen.

Russland und die Europäische Union haben heute einander deutlich widersprechende Ansichten über die Quellen der Instabilität in Eurasien. Falls der Westen weiter darauf besteht, Russlands Befürchtungen zu ignorieren, und fortfährt, die Ausweitung der NATO im vormals sowjetischen Raum voranzutreiben, wird er in Eurasien lediglich wieder eine Politik der Interessensphären einführen. Doch auch der Bruch mit der Politik der 1990er Jahre ist mit gravierenden Risiken verbunden, da die EU keine traditionelle Großmacht ist und sein kann und die Schwäche des Westens letztlich den russischen Revanchismus belohnen und ermutigen könnte.

Jedes Umdenken in der Politik der EU gegenüber Russland sollte anerkennen, dass, obwohl Russland während des kommenden Jahrzehnts eine regionale Macht und ein Global Player bleiben wird, es kaum eine freiheitliche Demokratie werden dürfte. Die EU sollte außerdem anerkennen, dass Russland legitime Befürchtungen über die asymmetrischen Auswirkungen des Endes des Kalten Krieges auf seine Sicherheit hat. Russland fühlte sich in seinen Erwartungen getäuscht, dass das Ende des Kalten Krieges eine Entmilitarisierung Mittel- und Osteuropas bedeuten würde. Auch wenn die NATO-Erweiterung keine echte Sicherheitsbedrohung für Russland darstellte, hat sie das militärische Gleichgewicht zwischen Russland und dem Westen verändert und damit den Revisionismus des Kremls angeheizt.

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