Climate Change Effects_UN photo_Flickr UN photo/Flickr

Wachstum in der neuen Klimawirtschaft

MAILAND – Maßnahmen zur Reduzierung von Kohlendioxidemissionen und zur Abschwächung des Klimawandels wurden lange Zeit als grundsätzlich konträr zum Wirtschaftswachstum gesehen. In der Tat wurde die Schwäche der weltweiten wirtschaftlichen Erholung oft als Rechtfertigung dafür benutzt, solche Maßnahmen zu verzögern. Aber ein aktueller Bericht der Globalen Kommission für Wirtschaft und Klima mit dem Titel „The New Climate Economy: Better Growth, Better Climate“ („Die neue Klimawirtschaft: Besseres Wachstum, besseres Klima“) widerspricht dieser Sichtweise. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel keineswegs ein Hindernis für Wirtschaftswachstum sind, sondern im Gegenteil dazu dienen können, das Wachstum erheblich – und sogar ziemlich schnell – anzukurbeln.

Jeder, der die Wirtschaftsleistung seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 beobachtet hat, versteht, dass (durch übermäßige Schulden oder sonstige ungesicherte Verbindlichkeiten) beschädigte Bilanzen zu Wachstumsschwächen, plötzlichen Aussetzern oder gar Rezessionen führen können. Und diejenigen, die sich mit dem Wachstum in Entwicklungs- und Schwellenländern auskennen, wissen, dass ein Mangel an Investitionen in Humankapital, Infrastruktur und die volkswirtschaftliche Wissens- und Technologiebasis letztlich zu Bilanzen führt, die ein dauerhaftes Wachstum nicht unterstützen können.

Auch der Klimawandel kann zu solchen nicht nachhaltigen oder fehlerhaften Wachstumsmustern gezählt werden. Auch er ist letztlich ein Bilanzproblem, das auf der Menge an CO2 in der Atmosphäre beruht.

Rechnet man die aktuellen Trends hoch, hat die Welt nur noch maximal drei oder vier Jahrzehnte Zeit, bevor die Menge des atmosphärischen CO2 ein Ausmaß erreicht, das zur Zerstörung klimatischer Kreisläufe und zu katastrophalen Folgen für die Umwelt und damit auch für die wirtschaftlichen und sozialen Systeme führt. Zuzulassen, dass das „natürliche Kapital“ der Welt – die Ressourcen und Ökosysteme hinter diesen Systemen – erschöpft wird, ist letztlich eine weitere Form eines zerstörerischen Mangels an Investitionen.

Angesichts der enormen Menge wissenschaftlicher Beweise für die aktuellen Klimaprojektionen ist es unwahrscheinlich, dass die Welt auf Anpassungen völlig verzichten kann. Aber die Lösung der komplexen Koordinations- und Verteilungsprobleme solcher Anpassungen wird nicht leicht sein. Und sollten die Politiker überzeugt sein, dass wir uns in Zeiten vieler anderer dringender Probleme eine aggressive Strategie zur Risikominimierung nicht leisten können, könnten sie in Versuchung geraten, konkrete Handlungen aufzuschieben.

„The New Climate Economy“ hält dies für eine sehr schlechte Idee. Die gründliche Auswertung aktueller Forschungen, Erfahrungen und Innovationen im Bericht führt zu der eindeutigen Schlussfolgerung, dass schnelles Handeln viel kostengünstiger ist als Abwarten. Tatsächlich würde sofortiges Handeln fast nichts kosten.

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Kohlenstoffarme Wege des Wirtschaftswachstums unterscheiden sich kaum von kohlenstoffreichen Wegen – bis dann der Zeitpunkt kommt, an dem Letztere auf den Abgrund der Katastrophe zusteuern. Anders ausgedrückt, sind die Nettokosten der Reduktion von CO2-Emissionen – in Begriffen von Wachstum, Einkommen und anderen Maßzahlen wirtschaftlicher und sozialer Leistung – kurz- und mittelfristig überhaupt nicht so hoch. Wenn man berücksichtigt, was wir heute über die Folgen des kohlenstoffreichen Weges für die natürliche Umwelt und damit für Gesundheit und Lebensqualität wissen, können diese Kosten sogar als negativ bezeichnet werden.

Aber es gibt eine wichtige Bedingung: Die Maßnahmen müssen sofort erfolgen. Die wirtschaftlichen Kosten der Abmilderung des Klimawandels steigen mit zunehmender Verzögerung nichtlinear an. Wenn diese Kosten 15 Jahre oder mehr in die Zukunft verschoben werden, sind die Reduktionsziele für kein Geld der Welt mehr erreichbar.

Wie begeben wir uns also auf den kohlenstoffarmen Weg? Der Bericht betont den Nutzen der energieeffizienten Gebäude und Infrastruktur, die als Grundlage für die kohlenstoffarme Weltwirtschaft des Jahres 2050 benötigt werden. Außerdem unterstreicht er das effizienzverbessernde Potenzial des Internets. Gemeinsam mit den sinkenden Kosten alternativer Energiequellen und den ständigen technischen Fortschritten führt dies zu der Erkenntnis, dass die weltweiten CO2-Minderungsziele weder weit entfernt noch besonders kostspielig sind.

Nach der Überprüfung der im Bericht enthaltenen Technologien, Maßnahmen und Analysen kommt man zu dem Schluss, dass die Wachstumswege mit geringem Kohlenstoffausstoß aufgrund höherer Investitionen und geringerem Konsum kurzfristig vielleicht etwas flacher verlaufen als ihre kohlenstoffintensiven Alternativen. Trotzdem ist es angesichts ihrer mittel- und langfristigen Vorteile kaum möglich, sie als unterlegen zu bezeichnen.

Der Bericht bringt auch Klarheit in eine weitere wichtige Frage der Klimadebatte: Ist für die Bekämpfung des Klimawandels eine globale Zusammenarbeit entscheidend? Muss eine Volkswirtschaft, die im Alleingang Maßnahmen ergreift, deutlich vermindertes Wachstum in Kauf nehmen – indem sie beispielsweise die Wettbewerbsfähigkeit ihres Handelssektors zerstört? Wenn die Antwort ja ist, wäre internationale Maßnahmenkoordination eine nötige Voraussetzung für Fortschritt.

Dies scheint aber nicht der Fall zu sein. Ein großer Teil einer nationalen Maßnahmenagenda zur Unterstützung des Übergangs eines einzelnen Landes hin zu einem kohlenstoffarmen Wachstumspfad (beispielsweise zur Steigerung der Energieeffizienz) wird keine wirtschaftliche Verlangsamung verursachen. Solche Bemühungen könnten sogar zu höheren Wachstumsraten führen, als durch den Verbleib auf einem kohlenstoffintensiven Pfad möglich sind. Auf den ersten Blick sind kohlenstoffarme Wege die dominanten Strategien, was eine völlig andere und viel vorteilhaftere Sichtweise auf die zu Grunde liegende Anreizstruktur bedeutet.

Obwohl also für den langfristigen Erfolg von Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels die internationale Zusammenarbeit ein wichtiger Faktor ist, muss – und sollte – deren Kompliziertheit den Fortschritt nicht behindern. Angesichts der Schwierigkeiten, eine globale Strategie zu entwickeln und durchzusetzen, ist dies eine gute Nachricht.

Berechtigte Zweifel über das Ausmaß der Risiken des Klimawandels wurden durch wissenschaftliche Beweise ausgeräumt. Und nun wurden die Analyse der Globalen Kommission auch die wirtschaftlichen Argumente für Tatenlosigkeit größtenteils widerlegt. Nun brauchen wir nur noch ein wachsendes öffentliches Bewusstsein für den Klimawandel, und die Weichen für konkretes Handeln sind gestellt.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/Jh8soS4de