castaneda79_MARTIN BERNETTIAFP via Getty Images_gabrielboric Martin Bernetti/AFP via Getty Images

Der Kampf um Boric's Seele

MEXIKO-STADT – Chile ist seit langem so etwas wie ein Vorreiter in Lateinamerika. Als die chilenischen Wähler am Sonntag, dem 19. Dezember den linksgerichteten Gabriel Boric, einen 35-jährigen ehemaligen Studentenführer, zum Präsidenten wählten, wollte der Rest Lateinamerikas wissen: Was bedeutet das für Chile – und für uns?

Zunächst lohnt sich ein genauerer Blick auf das Ergebnis selbst. Mit fast 56 % der Stimmen gewann Boric mit einem Vorsprung von mehr als zehn Prozentpunkten – für chilenische Verhältnisse enorm. Seit der Wiedereinführung der Demokratie 1989, haben die meisten Präsidenten nur einen Vorsprung von vier oder fünf Prozentpunkten erreicht. Dennoch gewann der rechtsextreme Kandidat José Antonio Kast nicht nur die erste Runde der Wahl, sondern auch die Stichwahl mit beachtlichen 44 % der Stimmen.

Tatsächlich spiegeln die Ergebnisse der jüngsten Wahl die Ergebnisse der Volksabstimmung von 1988 wider, bei der es darum ging, ob Chiles Diktator Augusto Pinochet, der seit 1973 regiert, seine Herrschaft um weitere acht Jahre verlängern kann. Obwohl Pinochets Anhänger verloren, war und blieb die extreme Rechte des Landes immer noch gesund und munter. Stichwahlen haben immer eine polarisierende Wirkung, aber die Spaltung unter den Chilenen scheint besonders scharf, ziemlich gleichmäßig und bemerkenswert dauerhaft zu sein.

https://prosyn.org/z9GLKDYde