A Spanish policeman tries to avoid clashes between people holding Spanish flags Jorge Guerrero/Getty Images

Spaniens Krise ist Europas Chance

ATHEN – Der hässliche Konflikt zwischen der katalanischen Regionalregierung und dem spanischen Staat kommt womöglich gerade recht, um dem maroden europäischen Projekt neues Leben einzuhauchen. Eine Verfassungskrise in einem wichtigen Mitgliedsland der Europäischen Union bietet die einmalige Chance, die demokratische Governance regionaler, nationaler und europäischer Institutionen umzugestalten und dabei eine tragbare und somit zukunftsfähige EU ins Leben zu rufen.

Die offizielle Reaktion der EU auf die Polizeigewalt, die während des katalonischen Unabhängigkeitsreferendums zu beobachten war, kommt einer Pflichtverletzung gleich. Zu erklären, dies sei ein internes Problem Spaniens, bei dem die EU kein Mitspracherecht hätte - wie dies der Präsident der Europäischen Union tat - ist Heuchelei zum Quadrat.

Freilich ist Heuchelei schon lange ein zentraler Aspekt des Verhaltens der EU. Ihre Vertreter hatten keine Scheu, sich in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates einzumischen, als es etwa darum ging, die Absetzung gewählter Politiker zu fordern, die sich weigerten, die Renten ihrer ärmsten Bürger zu kürzen oder öffentliche Vermögenswerte zu lächerlichen Preisen zu verscherbeln (das habe ich persönlich erlebt). Aber wenn sich die ungarische und die polnische Regierung explizit von grundlegenden EU-Prinzipien verabschieden, wird Nichteinmischung plötzlich sakrosankt. 

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