Brexit Matt Cardy/Stringer

Warum werden Experten von den Wählern ignoriert?

PARIS – Als die britischen Bürger am 23. Juni zur Abstimmung über eine fortgesetzte Mitgliedschaft ihres Landes in der Europäischen Union schritten, herrschte kein Mangel an Ratschlägen hinsichtlich der Vorteile eines Verbleibs. Spitzenpolitiker und moralische Autoritäten aus dem Ausland äußerten unmissverständlich ihre Bedenken im Hinblick auf die  Folgen eines Austritts und eine überwiegende Mehrheit der Ökonomen warnte, dass ein Abschied aus der EU beträchtliche wirtschaftliche Kosten mit sich bringen würde.

Dennoch wurden die Warnungen in den Wind geschlagen. Eine vor dem Referendum von YouGov durchgeführte Meinungsumfrage verrät den Grund dafür: die Austrittsbefürworter hatten nicht das geringste Vertrauen in diese Ratgeber. Sie wollten ihr Urteil nicht auf die Einschätzungen von Politikern, Wissenschaftlern, Journalisten, internationalen Organisationen oder Denkfabriken gründen. Einer der führenden Köpfe der Austrittsbewegung, Justizminister Michael Gove, der sich nun um die Nachfolge von David Cameron als Premierminister bemüht, formulierte es unumwunden: „Die Menschen in diesem Land haben genug von den Experten.“

Es ist verlockend, diese Haltung als Triumph der Emotion über die Vernunft abzutun. Doch das in Großbritannien sichtbar gewordene Muster wirkt seltsam vertraut: in den Vereinigten Staaten, ignorierten die republikanischen Wähler den Rat der Experten und nominierten Donald Trump als Präsidentschaftskandidaten ihrer Partei und in Frankreich erweckt die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, wenig Sympathie unter Fachleuten, verfügt aber über starken Rückhalt in der Bevölkerung. Überall steht eine beträchtliche Zahl von Bürgern den Fachkundigen zunehmend feindselig gegenüber.

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