Die internationale Gesetzlosigkeit

NEU-DELHI – Oberflächlich betrachtet hat Chinas jüngste Ankündigung, eine Luftraumüberwachungszone (Air Defense Identification Zone, ADIZ) einzurichten, die sich über Gebiete außerhalb seiner Kontrolle erstreckt, nichts mit Amerikas Verhaftung und Leibesvisitation einer in New York ansässigen indischen Diplomatin zu tun, die angeblich eine Haushälterin unterbezahlte, die sie aus Indien mitgebracht hatte. Tatsächlich versinnbildlichen beide Episoden einen unilateralen Ansatz im Hinblick auf das Völkerrecht.

Eine gerechte, auf Regeln basierende globale Ordnung wird seit langem von mächtigen Staaten als unentbehrlich für Frieden und Sicherheit auf internationaler Ebene angepriesen. Dennoch gibt es eine lange Tradition der Großmächte, sich über das Völkerrecht hinwegzusetzen, während sie es gegen andere Staaten einsetzen. Der Völkerbund scheiterte, weil er derartiges Verhalten nicht bestrafen oder verhindern konnte. Heute gelten die Vereinigten Staaten und China als typische Beispiele für den unilateralen Ansatz in internationalen Beziehungen, auch wenn sie ihre Unterstützung für eine Stärkung der globalen Regeln und Institutionen mit Nachdruck betonen.

Zum Beispiel haben die USA sich geweigert, wichtige internationale Verträge zu unterzeichnen – beispielsweise das Seerechtsabkommen der Vereinten Nationen von 1982, das Übereinkommen über die Nutzung internationaler Fließgewässer zu anderen Zwecken als zur Navigation von 1997 (das noch nicht in Kraft getreten ist) und das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998. In der Tat bleiben politische Alleingänge das Leitmotiv der US-Außenpolitik, und das spiegelt sich auch in den internationalen Interventionen der USA wider, seien es elektronische Kriegsführung und Überwachung, Drohnenangriffe oder Bemühungen, einen Regimewechsel herbeizuführen.

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