Sind islamische Werte wirklich anders?

In dem Jahr, das seit den Terroranschlägen des 11. September vergangen ist, standen Fragen über den Islam -sein Wesen, die Merkmale seiner Identität, seine potentielle Bedrohung des Westens - im Mittelpunkt intellektueller und politischer Debatten. Während die großen Konflikte des 20. Jahrhunderts - mit Faschismus, Kommunismus und anderen "-ismen" - in erster Linie ideologischer Natur waren, hat der Terrorismus des vergangenen 11. September erneut das Schreckgespenst der "Kriege der Kulturen" und "Clashes of Civilizations" heraufbeschworen.

In der islamischen Welt wird oft behauptet, dass die islamische Gesellschaft weniger atomistisch sei, weil eine der fünf grundlegenden Pflichten eines Moslems Zakat (spenden für die Armen) ist, was zu einer Begrenzung von Ungleichheit und sozialer Ausgrenzung führe. Gleichzeitig sehen westliche Beobachter im Islam oft einen Glauben, der die persönliche Freiheit missachtet, insbesondere für Frauen. Oriana Fallaci hat kurz nach den Anschlägen eine lange Schimpftirade in dieser Richtung veröffentlicht.

Diese Wahrnehmungen finden in der Realität scheinbar tatsächlich Bestätigung. Moslemische Länder zeichnen sich eher durch weniger Ungleichheit und Kriminalität aus (ein guter Indikator für gesellschaftliche Ausschließung) als andere Länder, die sich in vergleichbaren Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung befinden, wie etwa im katholischen Lateinamerika. Aber lässt sich aus nackten Statistiken über Durchschnittseinkommen tatsächlich Wesentliches schließen?

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