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Frühling in Arabien, Niedergang im Westen

TEL AVIV – Die traditionelle Mission des Westens, die Rudyard Kipling einst als „Bürde des weißen Mannes“ bezeichnete –  also die treibende Kraft hinter dem Streben nach globaler Hegemonie von den Tagen der imperialen Expansion im 19. Jahrhundert bis zur aktuellen, bedauerlicherweise ergebnisoffenen Intervention in Libyen – hat ganz klar an Schwung verloren. Aufgrund einer politischen und ökonomischen Entkräftung sowie der Forderung der Wähler nach einer Neuausrichtung der Prioritäten auf dringende innenpolitische Themen, sind Europa und Amerika nicht mehr in der Lage, ihre Werte und Interessen mittels kostspieliger militärischer Interventionen in fernen Ländern durchzusetzen.

US-Verteidigungsminister Robert Gates konstatierte das Offensichtliche, als er kürzlich die europäischen Nato-Mitglieder aufgrund ihrer halbherzigen Reaktion gegenüber den Missionen der Allianz und ihrer dürftigen militärischen Kapazitäten scharf kritisierte. (Nach zehn Wochen des Kampfeinsatzes in Libyen ging den Europäern schon die Munition aus.) Er warnte, dass die Allianz in die „kollektive militärische Bedeutungslosigkeit“ versinken würde, wenn die Europäer ihre Haltung gegenüber der Nato nicht änderten.

Der Widerwille Europas, sich an militärischen Unternehmungen zu beteiligen, sollte nicht neu sein. Der alte Kontinent steckt seit dem Zweiten Weltkrieg in einem „posthistorischen“ Diskurs, der die Anwendung von Gewalt zur Lösung eines Konflikts, oder gar zur Herbeiführung eines Regimewechsels ausschließt. Und nun ist man in einen schicksalhaften Kampf um die Sicherung der schieren Existenz und Lebensfähigkeit der Europäischen Union verstrickt.  Aus diesem Grund zieht sich Europa auf eine regionale Perspektive zurück – und geht davon aus, dass Amerika die Last der wichtigsten globalen Probleme tragen wird. 

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