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Das schmutzige Geheimnis der US-Wirtschaft

SAN DIEGO – Es gibt, was die Wirtschaft von heute angeht, ein schmutziges kleines Geheimnis: Die USA haben vom globalen Abschwung profitiert und tun dies auch weiterhin. Die US-Wirtschaft brummt, während zugleich in Großbritannien Demonstranten Brexiteers mit Milkshakes bewerfen, der französische Staatspräsident Emmanuel Macron nihilistische Gelbwesten-Marschierer konfrontiert und chinesische Technologieunternehmen wie Huawei befürchten, aus Auslandsmärkten verdrängt zu werden.

Die US-Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um 2,9% gewachsen, während die Eurozone um nur 1,8% zulegte, was Präsident Donald Trump noch mehr Vertrauen in seinen konfrontativen Stil verlieh. Doch ist ein relativ starkes US-Wachstum inmitten allgemeiner Stagnation anderswo nicht das, was die Wirtschaftslehrbücher prognostizieren würden. Was ist los mit der eng integrierten Weltwirtschaft, für die sich der Internationale Währungsfonds und die Weltbank seit dem Zweiten Weltkrieg stark gemacht und die sie in jüngster Zeit bejubelt haben?

Die US-Wirtschaft durchläuft zurzeit eine vorübergehende, aber starke Phase, in der die Schwäche des Auslands die Lebensgeister im Inland weckt. Doch hat diese wirtschaftliche Euphorie nichts mit der Bösartigkeit und Niedertracht der Trump-Ära zu tun, aber dafür viel mit den Zinssätzen.

Die Kreditkosten sind derzeit niedriger als zu irgendeiner Zeit seit Gründung der US Federal Reserve im Jahre 1913 oder, im Falle Großbritanniens, seit Gründung der Bank von England im Jahre 1694. Zehnjährige US-Schatzanleihen bringen derzeit eine Rendite von rund 2,123%, und die Rendite der Junk Bonds des Streaming-Dienstes Netflix lag im April bei bloßen 5,4%.

Wenn ein Ökonom vergangener Zeiten heute wie Rip Van Winkle aus jahrzehntelangem Schlummer erwachen und nur diese Zahlen sehen würde, würde er davon ausgehen, dass ein Fünftel der Amerikaner arbeitslos seien und auf den Straßen vor Suppenküchen anstünden. Stattdessen steht die Arbeitslosenquote in den USA auf ihrem niedrigsten Stand seit 50 Jahren, als Neil Armstrong seinen berühmten ersten Schritt auf dem Mond tat.

Die Vorstellung, dass die USA bei einem globalen Wirtschaftsabschwung profitieren, mag wie die sardonische Grübelei eines unverbesserlichen Marxisten in der schmuddeligen Ecke einer Fakultätslounge klingen. Doch ist an einer derartigen Sicht nichts Ideologisches. Vielmehr weisen die globalen Zinsen derzeit Tiefststände auf, weil das BIP-Wachstum außerhalb der USA so niedrig ist.

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Hartnäckig niedrige Zinsen und eine schwache Inflation bringen der US-Wirtschaft mehrere Vorteile. Zunächst einmal profitieren die US-Verbraucher, deren reale (inflationsbereinigte) Löhne nach Jahrzehnten der Stagnation endlich steigen, von allen möglichen Sonderangeboten. Als ich vor einigen Tagen einen Apple-Laden besuchte, erzählte mir ein Mitarbeiter am Reparaturschalter, dass ich ein neues iPhone zu 0% Zinsen finanzieren könne. Auch die Autohändler bieten derzeit zinslose Finanzierungen an.

Zudem sind die US-Aktienkurse steil gestiegen, weil die Zinsen auf Einlagenzertifikate bei den Banken so mickrig sind. In meiner Kindheit in den 1970er Jahren trug meine Mutter unsere Familienersparnisse auf die Bank und erhielt dafür nicht nur 6% Zinsen, sondern zusätzlich noch einen Mixer. Heute werden auf Einlagenzertifikate mit sechsmonatiger Laufzeit Zinsen von vielleicht einem Drittelprozentpunkt gezahlt. Und meine Mutter kann von der Bank keinen Mixer mehr dafür erwarten, dass sie ihr Geld dort parkt – tatsächlich nicht einmal einen Lolli.

Und schließlich bedeuten die niedrigen Zinssätze, dass die US-Unternehmen Anlagenkäufe nahezu kostenlos finanzieren können. Infolge der niedrigen Kreditkosten und neuen Abschreibungsmöglichkeiten wurden in der US-Wirtschaft in 2018 215.000 neue Arbeitsplätze im Maschinenbau geschaffen. Und ausländische Anleger erkennen, dass die neuen Anlagen die US-Unternehmen konkurrenzfähiger machen werden.

Nun sollte laut den Lehrbüchern eine humpelnde Weltwirtschaft die US-Exporte unter Druck setzen. Das stimmt – insbesondere im Zusammenspiel mit Chinas neuen Zöllen auf amerikanische Waren und dem starken Dollar, der US-Exporte international verteuert.

Doch entfallen nur 12% der US-Wirtschaft auf den Export, und fast ein Drittel dieser Exporte geht nach Kanada und Mexiko, deren Volkswirtschaften es derzeit gut geht. Zudem sind viele der wertvollsten US-Exporte unverzichtbare Artikel (oder oligopolistische Waren, die nur von einigen wenigen Unternehmen hergestellt werden): etwa Düsenjets von Boeing, Computerchips von Qualcomm oder iPhones von Apple. Selbst deprimierte Franzosen oder angstgeplagte Deutsche kommen nur schwer ohne diese aus.

Den politischen Entscheidungsträgern anderer macht der Elan der US-Wirtschaft Sorgen. Sie hätten es lieber, wenn die USA neben ihnen herstolpern würden und gezwungen wären, sich kooperative Möglichkeiten zur Ankurbelung des weltweiten Wachstums auszudenken. Stattdessen stichelt Trump, statt sich um Handelsabkommen zu bemühen, und nimmt zufrieden die aus der Flaute in anderen Ländern resultierenden Vorteile für die US-Wirtschaft mit.

Natürlich weiß keiner, wann Trumps Handelssticheleien aufhören werden. Doch solange die Inflation ein entfernter Schemen bleibt, wird die amerikanische Volkswirtschaft weiter von dieser ungewöhnlichen Art von Wachstum profitieren.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/0kZd2Epde