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Amerikas moralische Krise verschärft sich

NEW YORK – Amerikas Politik- und Wirtschaftskrise wird sich nach den kommenden Wahlen im November aller Voraussicht nach noch verschlimmern. Präsident Barack Obama wird jegliche Hoffnung verlieren, progressive Gesetze durchzubringen, die darauf abzielen, den Armen oder der Umwelt zu helfen. Tatsächlich ist es wahrscheinlich, dass alle großen Gesetze und Reformen bis nach der neuen Präsidentschaftswahl 2013 blockiert werden. Eine bereits schlechte Situation, die von Stillstand und Schärfe geprägt ist, wird sich wahrscheinlich noch verschlimmern, und die Welt sollte von den in zwei erbitterte Lager gespaltenen Vereinigten Staaten keine große Führung erwarten.

Ein Großteil der Amerikaner ist übel gelaunt, und die Sprache des Mitgefühls wurde mehr oder weniger aufgegeben. Beide politischen Parteien bedienen ihre reichen Wahlkampfsponsoren, während sie behaupten, die Mittelschicht zu vertreten. Keine der beiden Parteien erwähnt die Armen überhaupt, die jetzt offiziell 15 % der Bevölkerung ausmachen, tatsächlich aber noch viel zahlreicher sind, wenn man all jene Haushalte dazuzählt, die mit Gesundheitsfürsorge, Wohnungssituation und anderen Bedürfnissen zu kämpfen haben.

Die Republikanische Partei hat vor kurzem ein „Versprechen an Amerika“ (Pledge to America) veröffentlicht, um ihre Anschauungen und Wahlkampfversprechen zu erläutern. Das Schriftstück ist voll von Unsinn, z. B. der albernen Behauptung, hohe Steuern und Überregulierung erklärten Amerikas hohe Arbeitslosigkeit. Außerdem steckt es voller Propaganda. In einem Zitat des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy wird angeführt, dass hohe Steuersätze die Wirtschaft abwürgen können, Kennedy sprach jedoch vor einem halben Jahrhundert, als die obersten Steuergrenzsätze doppelt so hoch waren wie heute. Vor allem fehlt dem republikanischen Programm jegliches Mitgefühl.

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