Svetlana Alexievich won Nobel prize in literature Elke Wetzig/Wikimedia Commons

Das von Swetlana Alexijewitsch vollbrachte Werk

NEW YORK – Es war das Jahr 1985 und in der Sowjetunion lag Veränderung in der Luft. Alternde Generalsekretäre starben wie die Fliegen. In seinem filmischen Meisterwerk „Komm und sieh“ zeigte Elem Klimow den Zweiten Weltkrieg ohne die Heldentaten, mit denen wir groß geworden sind, und rückte das unsägliche Leid der Menschen in den Mittelpunkt. Klimow griff dabei den Ansatz auf, den Swetlana Alexijewitsch – die in diesem Jahr den Nobelpreis für Literatur erhalten hat – in ihrem ersten Buch Der Krieg hat kein weibliches Gesicht gewählt hat, das ein Jahr zuvor veröffentlicht worden war.

Während viele in die Kinos strömten, um Klimows Film zu sehen, schien Swetlana Alexijewitschs Buch die Leser nicht zu begeistern. Die vermeintlich fortschrittliche Sowjetunion blieb im Patriarchat verwurzelt. Frauen hatten Arbeit, machten aber selten Karriere. Schriftstellerinnen verfassten hervorragende Lyrik und Prosa und wurden offiziell als ihren männlichen Kollegen (beinahe) ebenbürtig anerkannt; sie neigten jedoch dazu, bestimmte Themen zu vermeiden – und Krieg war Sache der Männer. Und daher beginnt Swetlana Alexijewitsch Der Krieg hat kein weibliches Gesicht mit den Worten: „Auf der Erde sind schon über dreitausend Kriege geführt worden. Und Bücher darüber gibt es noch mehr. Doch alles, was wir über den Krieg wissen, haben uns Männer erzählt.“

Und Männer haben uns viel erzählt. „Über den Krieg wurde unentwegt gesprochen“, erinnert sich Alexijewitsch, „in der Schule und zu Hause, bei Hochzeiten und Taufen, an Feiertagen und auf dem Friedhof. Der Krieg blieb auch nach dem Krieg die Heimstatt unserer Seele.“ Tatsächlich hatte ich, als Der Krieg hat kein weibliches Gesicht erschien, so viel über den Krieg gehört, dass ich wenig Interesse daran hatte, mehr darüber zu erfahren – egal unter welchem Blickwinkel, ob Leiden und Opfer oder Heldentum und Triumph.

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