455b7e0046f86fa80b88f603_pa4007c.jpg

Ein Jahr der Missklänge zwischen den USA und China?

NEW YORK – Im Jahr 2009 waren US-Präsident Barack Obama und der chinesische Präsident Hu Jintao dem Forbes Magazine zufolge die „mächtigsten Personen der Welt“. Im Jahr 2010 werden wir feststellen, dass keiner von beiden die Macht hat, die US-chinesischen Beziehungen auf Kurs zu halten. Das sind schlechte Nachrichten für alle die glauben, dass die Zusammenarbeit zwischen den USA und China ausschlaggebend für eine Wiederbelebung der Weltwirtschaft, die Bewältigung des Problems des Klimawandels, die Eindämmung der Bedrohung durch die Verbreitung von Kernwaffen und eine ganze Reihe anderer grenzenloser Probleme ist. Es sind auch für Amerika und China schlechte Nachrichten.

Zehn heißt die Zahl, die man im Auge behalten muss: Die Arbeitslosigkeit in den USA in Höhe von 10% und das potenzielle BIP-Wachstum in China in Höhe von 10% werden wie Wetterfronten aufeinanderprallen, die einen Sturm erzeugen. Amerikanischer Populismus wird auf chinesischen Stolz treffen. Und die fieberhafte Atmosphäre, die durch die Zwischenwahlen in den USA entsteht, bedeutet, dass die wichtigste bilaterale Beziehung der Welt in diesem Jahr auf echte Turbulenzen zusteuert.

Gegenwärtig leben Amerika und China mit einer Art gegenseitig zugesicherten wirtschaftlichen Zerstörung und beide Präsidenten wissen das. Die USA brauchen China, um ihre steigende Verschuldung zu finanzieren und China braucht Amerikaner, die seine Produkte kaufen.

Die kurze, heftige Erschütterung, die China bedingt durch die Finanzkrise verkraften musste beweist, dass sein Wirtschaftswachstum immer noch von der Verbrauchernachfrage in Amerika, Europa und Japan abhängig ist – und noch für einige Zeit bleiben wird. Die chinesische Führung würde Chinas Wachstumsmodell gern so verlagern, dass in höherem Maße Verlass auf den Binnenkonsum ist, doch das ist ein langfristiges Projekt. In absehbarer Zeit werden sie darauf angewiesen sein, dass einheimische Hersteller die Arbeitsplätze schaffen, die sowohl Chinas Entwicklungsziele als auch das Monopol der Kommunistischen Partei auf die politische Macht im Lande schützen.

Die Angst vor stillgelegten Fabriken und Lohnausfällen veranlasste die chinesische Regierung im vergangenen Jahr, ein massives Konjunkturprogramm zum Schutz der Arbeitsplätze und zur Stärkung des Wachstums aufzulegen. Es hat funktioniert. China, das in wesentlich geringerem Maße faulen Vermögenswerten der Banken ausgesetzt war als der Westen, ist wieder im Rennen, während Amerika sich bemüht wieder auf die Beine zu kommen.

In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Pew bezeichneten 44% der amerikanischen Befragten China als „die führende Wirtschaftsmacht der Welt“. Nur 27% entschieden sich für Amerika. Die USA werden sich zwar unweigerlich letzten Endes erholen, doch es dauert gewöhnlich länger, bis sich die Beschäftigungssituation erholt. Solange sich die Wähler Sorgen um ihre Brieftasche machen, werden die Demokraten und Republikaner miteinander darum konkurrieren, für amerikanische Arbeitskräfte einzutreten. Angesichts der näher rückenden Wahlen im November werden viele US-Abgeordnete fordern, dass das Land mit einer Arbeitslosenquote von 10% das Land mit einem Wachstum von 10% davon überzeugt damit aufzuhören, die Handelsregeln zu seinen Gunsten auszulegen und den Wert seiner Währung zu manipulieren.

Subscribe to PS Digital
PS_Digital_1333x1000_Intro-Offer1

Subscribe to PS Digital

Access every new PS commentary, our entire On Point suite of subscriber-exclusive content – including Longer Reads, Insider Interviews, Big Picture/Big Question, and Say More – and the full PS archive.

Subscribe Now

Die chinesische Führung wird ihrerseits wissen wollen, warum die Verfechter des freien Marktes in Washington mit verstärktem Protektionismus drohen. Denn während sich Chinas Wachstum beschleunigt, mehren die Handelsungleichgewichte die Frustration in den USA und angesichts der bevorstehenden Wahlen werden Abgeordnete beider politischer Parteien in den USA bei einer Vielzahl von Themen mit Sanktionsmaßnahmen gegen China drohen.

Die Regierung Obama hat bereits Schritte gegen den chinesischen Export von Reifen und Stahlrohren unternommen, doch die Konfrontation in diesem Jahr wird weit über den Handel hinausgehen. Wenn der Kongress beispielsweise die Debatte über den Klimawandel aufnimmt und einige Abgeordnete ein System von Emissionsobergrenzen und Handel mit Emissionsrechten (Cap and Trade) fordern, werden andere wissen wollen, warum Amerika eine bindende Verpflichtung zur Emissionsbegrenzung eingehen sollte, während die Chinesen dies ablehnen.

Chinas Führungsriege, die keine Lust hat den Sündenbock zu spielen, wird den wachsenden Nationalstolz nutzen, um ihre Position zu stützen und ihr Gewicht bei den Verhandlungen zu erhöhen. Die chinesische Regierung hat in den vergangenen Jahren massiv in staatliche Unternehmen und „nationale Champions“ in Privatbesitz investiert, vorrangig um zu gewährleisten, dass China von der Macht der Märkte profitiert, während die Führung so viele der Gewinne kontrolliert wie möglich. Um den Markteinfluss dieser Zugpferde im Inland zu stärken, gibt die Regierung ihnen häufig auf Kosten ausländischer Wettbewerber den Vorzug. Feindselige US-Rhetorik und Handelsmaßnahmen werden Chinas Führungsköpfen einen Vorwand bieten, diesen Trend zu verstärken.

Außerdem will die Regierung Obama, dass sich China stärker daran beteiligt die Bürden der internationalen Führung zu schultern. Dazu zählt es die USA dabei zu unterstützen, Druck auf Länder wie Iran, Sudan und Myanmar auszuüben, die sich weiterhin über den Willen der internationalen Gemeinschaft hinwegsetzen – und zu denen die chinesischen Firmen in Staatsbesitz lukrative Handelsbeziehungen unterhalten, die den wirtschaftlichen und politischen Interessen der chinesischen Regierung dienen. Chinas Führung, die nicht bereit ist sich in Fragen, die ihre nationalen Ziele untergraben könnten, auf Kompromisse einzulassen, sträubt sich weiterhin dagegen.

Ein Handelskrieg auf ganzer Linie ist unwahrscheinlich. Beide Regierungen wissen, dass für beide Volkswirtschaften zu viel auf dem Spiel steht, und Obama und Hu werden weiter hart daran arbeiten zu versuchen die Dinge in konstruktiven Bahnen zu halten. Doch keiner der Präsidenten kann garantieren, dass sich gegenseitige Schuldzuweisungen und Vorwürfe nicht verselbständigen.

Sollte etwa ein weiteres Produktsicherheitsproblem bei chinesischen Importen Schlagzeilen in den USA machen, könnte sich Enttäuschung schnell in echte Verärgerung verwandeln. Die meisten Amerikaner scheren sich wenig um Chinas Währungspolitik oder seine Haltung zu Rechten an geistigem Eigentum. Doch wenn in China hergestellte Produkte ihre Gesundheit und ihre Sicherheit gefährden, werden gewiss opportunistische Abgeordnete zur Stelle sein, um Öl ins Feuer zu gießen.

Die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2008 waren die letzten, bei denen die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Wähler entweder nicht wusste oder es ihr gleichgültig war, welche Einstellung die Kandidaten China gegenüber vertreten. Regierungsvertreter in Peking, die zunehmend sensibel auf Kritik aus den USA reagieren, werden ebenso bereitwillig Anschuldigungen austauschen wie Waren und Dienstleistungen oder gute Ideen. Deshalb werden es „die mächtigsten Personen der Welt“ jetzt wesentlich schwerer haben, bei der Bewältigung der schwierigsten Herausforderungen unserer Zeit zusammenzuarbeiten.

https://prosyn.org/WAXCp4ede