Die Niederlande - ein Vorbild für Brasilien?

Die erfolgreiche Rückkehr Brasiliens auf die internationalen Finanzmärkte Ende April und die Stärkung der Landeswährung Real haben gezeigt, dass mit der Wahl von Präsident Luiz Inácio da Silva (Lula) das Vertrauen des Auslands keineswegs zusammengebrochen ist. Dennoch dürfen jüngste positive Entwicklungen nicht über die Notwendigkeit von wirtschaftlichen Strukturreformen hinweg täuschen. Lula weiß, dass Fortschritte auf diesem Gebiet und auch bei der Reform des Arbeitsmarktes entscheidend für ein ausreichendes Wirtschaftswachstum in Brasilien sein werden, das es ihm ermöglichen soll, seine ehrgeizigen sozialen Reformen umzusetzen.

Entscheidend wird dabei sein, wie Lula, ehemaliger Metallarbeiter und Gründungsmitglied des brasilianischen Gewerkschaftsdachverbandes CUT, die Beziehungen zu diesen Gewerkschaften gestalten wird, die auch Arbeiter der Automobilindustrie vertritt. Die jüngsten Streiks in den brasilianischen Werken von General Motors, Renault, Volvo und Ford verheißen nichts Gutes. Die dem Kongress Ende April präsentierten Steuer- und Sozialversicherungsreformen scheinen die Spannungen noch zusätzlich zu verschärfen.

Um zu sehen, wie man hohe Wachstumsraten und Arbeitsplatzschaffung sozial verträglich verbindet, sollte Lula einen Blick nach Europa werfen. Überdies könnte er hier auch sehen, wie sich so mancher Politiker von einem linken Gegner des Marktes zu einem reformorientierten Staatschef entwickelt hat. Felipe González in Spanien und Tony Blair in Großbritannien haben eine solche Wandlung durchgemacht. Ein noch besseres Beispiel ist möglicherweise Wim Kok, der letztes Jahr nach achtjähriger Amtszeit als niederländischer Ministerpräsident zurücktrat. Lula und Kok verbindet ihr ungewöhnlicher Werdegang, der sie über den Gewerkschaftsvorsitz in das höchste Regierungsamt führte.

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