schiffrin10_Mark WilsonGetty Images_journalists Mark Wilson/Getty Images

Qualitätsjournalismus ist wichtiger denn je

NEW YORK – Obwohl der Nachrichtenkonsum während der Covid-19-Pandemie sprunghaft angestiegen ist, hat sich die Zahl der Abonnenten seither verringert, und Nachrichtenagenturen auf der ganzen Welt haben Reporter entlassen oder den Betrieb gleich ganz eingestellt. Das sind schlechte Nachrichten für uns alle.

Unser neues UNESCO-Dossier beleuchtet aktuelleForschungsergebnisse, die zeigen, wie wichtig qualitativ hochwertige Informationen für eine gut funktionierende Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie sind. Neue Studien aus der Wirtschafts- und Politikwissenschaft bestätigen mithilfe rigoroser Evaluierungsmethoden, was Journalisten bereits wissen: dass ihre Arbeit einen positiven Einfluss auf demokratische Normen, bürgerschaftliches Engagement und die Rechenschaftspflicht von Regierungen und Unternehmen hat. Eine seriöse, glaubwürdige Berichterstattung schafft soziales Vertrauen und fördert die Menschenrechte und unterstützt damit auch die Wirtschaftsleistung und die nachhaltige Entwicklung.

Die Windhoek+30-Erklärung der UNESCO aus dem Jahr 2021, in der die Bedeutung von Information als öffentliches Gut (von dem alle profitieren und niemand ausgeschlossen ist) bekräftigt wurde, stützt sich auf zahlreiche Studien aus Afrika, Indien, Lateinamerika und den Vereinigten Staaten. Diese Fachliteratur zeigt, dass qualitativ hochwertige Nachrichten und JournalismusRechenschaftspflicht und Reaktionsbereitschaftfördern, selbst inmitten einer zunehmenden Flut an Fehlinformation und Desinformation. Faktenüberprüfung kann den Lügen und Verzerrungen tatsächlich entgegenwirken, von denen Gesellschaften auf aller Welt heutzutage überschwemmt werden.

Darüber hinaus ist qualitativ hochwertiger Journalismus bei der Verbreitung akkurater, vertrauenswürdiger Nachrichten nach wie vor effektiver als die sozialen Medien. Technologie kann die Verbreitung guter Information zwar fördern, doch derzeit tut sie das Gegenteil. Große digitale Plattformen stufen Nachrichten regelmäßig herab und behaupten, die Nutzer seien mehr an anderen Kategorien von Inhalten interessiert. Daten des Pew Research Center zeigen jedoch, dass der Nachrichtenkonsum auf allen Plattformen seit 2020 stabil geblieben ist (zumindest in den USA). Und da in diesem Jahr mehr Menschen zur Wahl gehen als je zuvor, war der Bedarf an hochwertiger Berichterstattung noch nie so groß wie heute.

Jeder – auch diejenigen, die nicht selbst in Journalismus investieren – profitiert von der Recherche, Aufbereitung und Verbreitung vertrauenswürdiger und nützlicher Informationen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dieses öffentliche Gut in einem freien Markt adäquat zur Verfügung gestellt wird, selbst mit Hilfe von gemeinnützigen Philanthropen, Hilfsorganisationen, Medienunternehmen und Regierungen. Auf vielen Märkten reicht ihre Unterstützung nicht aus.

Vor allem Regierungen haben eine Verantwortung, die Bereitstellung öffentlicher Güter zu gewährleisten. Um qualitativ hochwertigen Journalismus zu ermöglichen, bedarf es gesetzlicher Regelungen, die die freie Meinungsäußerung und das „Recht zu berichten“ schützen. Aber das ist nicht genug. Damit Journalisten ihre Arbeit machen können, müssen auch Gesetze und Durchsetzungsmechanismen vorhanden sein, die das Recht auf den Zugang zu Information gewährleisten: das „Recht zu wissen“. Viele Länder haben solche Gesetze zwar erlassen, aber sie werden nur selten durchgesetzt. Wenn sich Behörden überhaupt die Mühe machen, auf Informationsanfragen zu reagieren, tun sie dies oft erst nach langen Verzögerungen und mit umfangreichen Schwärzungen.

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Alteingesessene Medien sind ein wichtiger Bestandteil des Medien-Ökosystems und benötigen anhaltende Unterstützung; das Gleiche gilt aber auch für kleinere Medienunternehmen und solche, die auf unterversorgte Gebiete ausgerichtet sind. Zu den vielversprechenden Ideen zur Unterstützung des Journalismus gehören die Bereitstellung von Sonderfonds oder Steuererleichterungen (wie etwa auf Arbeitgeberbeiträge oder gezielte Mehrwertsteuersenkungen) und die Ausgabe von Gutscheinen für Zeitungsabonnements. Während der Pandemie haben Regierungen auf aller Welt Variationen dieser Maßnahmen eingeführt und damit eine breite Palette von Modellen geschaffen, die nun nachgeahmt werden können.

Ein weiterer wichtiger Schritt besteht darin, sicherzustellen, dass Journalisten für ihre Arbeit angemessen entlohnt werden. Big Tech (die Eigentümer von Suchmaschinen, sozialen Medien und den meisten Plattformen für künstliche Intelligenz) ist auf Nachrichtenmedien angewiesen, um Nutzer zur Interaktion zu bewegen und ihre Produkte zu verbessern. Da Technologieunternehmen selbst keine Nachrichten produzieren, können sie die Nachfrage der Nutzer nach qualitativ hochwertigen Nachrichten und Suchergebnissen ohne die von Journalisten bereitgestellten Inhalte nicht erfüllen. Allerdings haben sie lange Zeit von Journalisten produzierte Inhalte genutzt, ohne diese dafür großartig (wenn überhaupt) zu vergüten, wodurch Medienunternehmen eine wichtige Einnahmequelle entzogen wird: Werbung. Dieser Kreislauf zerstört das Informationsökosystem, auf das sie und unsere Gesellschaft angewiesen sind.

Viele Länder haben durch Investitionen in den unabhängigen öffentlichen Rundfunk dazu beigetragen, einen qualitativ hochwertigen Journalismus zu erhalten. Gesunde öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten schaffen soziales Vertrauen und erzeugen einen wichtigen positiven Nebeneffekt: Wettbewerb, der private Medienunternehmen zwingt, selbst einem höheren Standard gerecht zu werden. Die institutionellen Strukturen, die die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erleichtern, sind wohlbekannt; was es braucht, ist der politische Wille, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Ein allgemeiner Grundsatz der Wirtschaftswissenschaften besagt, dass es ohne öffentliche Unterstützung zu einer Unterversorgung mit öffentlichen Gütern kommt. Bedauerlicherweise wird Qualitätsjournalismus schnell zum Paradebeispiel für diesen Grundsatz, obwohl die Forschung seine Bedeutung durch rigorose Evaluierung nachgewiesen hat. Das Geschäftsmodell des Journalismus wird durch den Aufstieg der künstlichen Intelligenz und die Macht von Technologiemonopolen bedroht, die Nachrichten verbreiten, ohne dafür einen fairen Preis zu zahlen. Dies geschieht in einer Zeit, in der Fehlinformation, Desinformation und politische Polarisierung die Gefahren des Niedergangs des Journalismus vergrößern.

Weltweit wächst das Gefühl, dass die Demokratie im Niedergang begriffen ist. Ein wichtiger Schritt zur Umkehrung dieser Entwicklung ist die verstärkte Förderung des Qualitätsjournalismus, und zwar ab sofort. Untätigkeit könnte uns sehr teuer zu stehen kommen.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

https://prosyn.org/IACQfIRde