Was die Wirtschaftswissenschaften vom Gehirn lernen können

CAMBRIDGE – In seinem zukunftsweisenden Buch Die Zukunft der Intelligenz aus dem Jahr 2005 schlug Jeff Hawkins ein alternatives Paradigma zur Funktionsweise des menschlichen Gehirns vor. Seiner Ansicht nach ist das Gehirn keine Turing-Maschine, die Symbole gemäß einer Regeltabelle verarbeitet. Dies war das Modell, auf dem Computer und künstliche Intelligenz bisher beruhten. Stattdessen ist das Gehirn ein großer hierarchischer Speicher, der ständig aufnimmt, was er wahrnimmt, und vorhersagt, was als Nächstes kommt.

Das Gehirn macht Vorhersagen, indem es Ähnlichkeiten zwischen Mustern aus neueren Sinneseindrücken und vorherigen Erfahrungen findet, die in seinem riesigen Speicher aufgezeichnet sind. Es verbindet Klangfragmente, die es in einem Geräuschmeer hört, mit einem bekannten Lied oder das Gesicht einer verkleideten Person mit dem des eigenen Kindes. Das funktioniert ähnlich wie die automatische Vervollständigung im Suchfeld von Google beispielsweise – anhand dessen, was Sie bereits eingetippt haben, wird permanent geraten, was Sie als Nächstes eingeben werden.

Um sich die Hierarchie dieses Mechanismus zu verdeutlichen, stellen Sie sich vor, dass Sie ein Wort vorhersagen können, wenn sie nur ein paar Buchstaben davon sehen; wenn Sie sich nur einige wenige Wörter ansehen, können Sie vorhersagen, was der Satz oder sogar der Absatz bedeutet. Tatsächlich werden Sie sich jetzt gerade fragen, worauf ich mit diesem ganzen Kommentar hinauswill. Die Hierarchie ermöglicht es Ihnen, den Sinn zu erfassen, unabhängig davon, ob ihr Gehirn die Eindrücke durch Lesen oder Hören erhalten hat. Das Gehirn ist also eine induktive Maschine, die die Zukunft vorhersagt, indem sie Ähnlichkeiten findet: auf vielen unterschiedlichen Ebenen, zwischen Gegenwart und Vergangenheit.

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