Wahlen allein sind nicht genug

Es kann keine freiheitliche Grundordnung geben ohne politische Demokratie, aber wir werden heute allzu oft daran erinnert, dass politische Demokratie allein keine Gewähr bietet für eine freiheitliche Grundordnung. Freie und faire Wahlen können zum Aufstieg eines irakischen Präsidenten führen, der „Israel von der Landkarte des Nahen Ostens tilgen“ will. Oder zu einem venezolanischen Präsidenten, dessen Intoleranz gegenüber der Klasse der Unternehmer in den Straßen breiten Jubel auslöst, aber zur Auswanderung jener führt, deren Initiative eine Grundvoraussetzung für das Wohl der Bevölkerung darstellt. Weniger schädlich, aber trotzdem problematisch ist die Wahl einer Minderheitsregierung – wie in Polen –, die rücksichtslos die persönlichen Interessen ihrer Mitglieder verfolgt und alle vor der Wahl gemachten Versprechungen bricht.

Mit anderen Worten: Wahlen allein sind nicht genug, wenn man der Welt die Demokratie bringen will. Wahlen können zu illiberalen Demokratien und zu Schlimmerem führen. Sie müssen in einen sehr viel komplexeren Rahmen eingebunden werden, den ich als freiheitliche Grundordnung beschreiben würde.

Das erste Merkmal einer freiheitlichen Grundordnung ist, dass Demokratien jene nicht tolerieren dürfen, deren Ziel die Zerstörung der Demokratie ist. Einige Länder, wie auch Deutschland, haben Gesetze, die es möglich machen, politische Parteien, deren Programme erkennbar antidemokratisch sind, zu verbieten. In der Vergangenheit wurde dieses Gesetz angewandt, um sowohl die extreme Linke als auch die extreme Rechte in die Schranken zu weisen. Dies hat eindeutig dazu beigetragen, einen möglichen Rückfall in die totalitären Verhaltensmuster des 20. Jahrhunderts zu verhindern.

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