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Afrikas Wohlstand ist abhängig von der Gleichstellung der Geschlechter

NAIROBI – Trotz der in den letzten einhundert Jahren erzielten Fortschritte im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter hinken Frauen auf der ganzen Welt im Hinblick auf Entlohnung und Arbeitsplatzqualität immer noch den Männern hinterher. Die weltweite Erwerbsquote der Frauen liegt bei nur 53 Prozent, verglichen mit 80 Prozent bei Männern. Das liegt nicht an mangelndem Willen oder fehlenden Bemühungen. Kinderbetreuungspflichten, eingeschränkter Zugang zu Bildung und unzureichende Maßnahmen zur Sicherheit am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit schränken die Möglichkeiten von Frauen ein, eine „menschenwürdige“ Arbeit zu finden.

Aus diesem Grund streben die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) „produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle” bis 2030 (SDG 8) an. Dieses Vorhaben kann jedoch nicht verwirklicht werden, solange afrikanische Frauen auf erhebliche Hindernisse stoßen, wenn es um gleiche Bezahlung und gleiche Beschäftigungsmöglichkeiten geht.

Der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge bedeutet „menschenwürdige” Beschäftigung faire Löhne, sichere und gesundheitlich unbedenkliche Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit sowie Chancengleichheit und Gleichbehandlung. Obwohl mehrere afrikanische Länder Anstrengungen zur Verbesserung des Zugangs von Frauen zu menschenwürdiger Arbeit unternommen haben, unterstreichen aktuelle Forschungsergebnisse  der Partnership for Economic Policy (PEP) die Herausforderungen, vor denen die politisch Verantwortlichen stehen.

Die Studie, an der Forschende aus sechs Ländern beteiligt waren, widmete sich zwei afrikanischen Staaten: Kenia und Senegal. In Kenia stellten die Forschenden fest, dass zwar mehr als 75 Prozent der Frauen am Arbeitsmarkt teilnehmen, aber nur 39 Prozent im formellen Sektor beschäftigt sind. Für den Senegal ergab die Studie, dass 70 Prozent der Frauen in den letzten 30 Jahren in unsicheren Arbeitsverhältnissen tätig waren und sich die Situation trotz staatlicher Interventionen kaum verbessert hat. Folglich arbeiten die meisten Frauen in beiden Ländern in prekären Arbeitsverhältnissen, vor allem in der Landwirtschaft, im informellen Sektor sowie als Haushaltshilfen, und sie haben oft keinen Zugang zu Sozialleistungen.

Eine separate Studie über die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt in acht Ländern südlich der Sahara - Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien, Mosambik, Niger, Nigeria und Sierra Leone - ergab, dass Frauen mit Ausnahme von Sierra Leone seltener eine Beschäftigung finden als Männer. Überdies sind Frauen hauptsächlich in unsicheren, schlecht bezahlten und informellen Arbeitsverhältnissen tätig. Im Durchschnitt arbeiten acht von zehn Frauen in diesen Ländern in prekären Beschäftigungsverhältnissen.

Wenig überraschend sind es Mutterschaft und Kinderbetreuungspflichten, die es Frauen erheblich erschweren, ihr Potenzial auf dem Arbeitsmarkt voll auszuschöpfen. Zurückzuführen ist dies auf regressive soziale Normen, die die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern fortschreiben. Um diese Ungleichheiten zu korrigieren, gilt es, staatliche Maßnahmen mit Bedacht zu konzipieren und auf den jeweiligen Kontext abzustimmen. So empfehlen die Forschenden der PEP beispielsweise, dass Regierungen erschwingliche, hochwertige und sichere öffentliche Kinderbetreuungsdienste anbieten. Dazu gehören die Schaffung von Kindertagesstätten an öffentlichen Schulen und die Subventionierung privater Kinderbetreuungsangebote in Ländern wie Kenia und dem Senegal.

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Eine im Jahr 2019 in einer informellen Siedlung namens Korogocho in Nairobi durchgeführte randomisierte Kontrollstudie unterstrich die entscheidende Rolle kostenloser Kinderbetreuung bei der Förderung der Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen. Der Studie zufolge sind die Kosten das Haupthindernis hinsichtlich der Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsangeboten, die sich fast 25 Prozent der Mütter vor Ort nicht leisten können. Beihilfen für Kinderbetreuung in Form von Gutscheinen für Kindertagesstätten hatten zur Folge, dass die Erwerbsmöglichkeiten für verarmte Mütter von Kindern im Alter von ein bis drei Jahren in den Städten um 17 Prozent zunahmen. Die Empfängerinnen dieser Beihilfen profitierten von einer durchschnittlichen Erhöhung ihres Einkommens um 24 Prozent.

Ein ILO-Bericht aus dem Jahr 2018, der sich auf Daten aus mehr als 90 Ländern stützt, unterstreicht ebenfalls die Rolle der Care-Arbeit bei der Förderung der wirtschaftlichen Teilhabe von Frauen. Weltweit arbeiten 19,3 Prozent der Frauen in Betreuungs- und Pflegeberufen, aber nur 6,6 Prozent der Männer. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen bis 2030 auf 2,3 Milliarden ansteigen wird (gegenüber 2,1 Milliarden im Jahr 2015), sprach sich der Bericht für eine Verdoppelung der Investitionen in die Care-Ökonomie auf 18,4 Billionen Dollar aus. Die ILO geht davon aus, dass damit bis 2030 269 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen und die Länder in die Lage versetzt werden könnten, mehrere SDG zu erreichen, darunter allgemeine Gesundheitsversorgung, Bildung für alle, Gleichstellung der Geschlechter und menschenwürdige Beschäftigung.

Es gibt jedoch kein Einheitsmodell für die Schaffung qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze in den Bereichen Pflege und Betreuung. Vor diesem Hintergrund hat das African Population and Health Research Center ein Team internationaler und regionaler Expertinnen und Experten zusammengestellt, um die staatlichen Systeme Kenias und Senegals in den Bereichen frühkindliche Betreuung und Langzeitpflege zu bewerten. Auf Grundlage einer eingehenden Untersuchung der in den Ländern vorhandenen einheimischen Expertise und der derzeitigen Unterstützungsstrukturen soll das Projekt den Grundstein für eine auf die besonderen Bedürfnisse Afrikas zugeschnittene Care-Ökonomie legen.

Auf Grundlage der Erkenntnisse aus Kenia skizzieren die Forschenden mehrere Schritte, die Regierungen ergreifen können, um unbezahlte Betreuungsarbeit zu erkennen, zu verringern und zwischen verschiedenen Beteiligten neu aufzuteilen. Dazu gehören Investitionen in qualitativ hochwertige, erschwingliche Kinderbetreuungsangebote, insbesondere für Kleinkinder; darüber hinaus die Stärkung von Kapazitäten lokaler Stellen durch angemessene finanzielle Unterstützung und regierungsinterne Zusammenarbeit; Hilfe für lokale Unternehmerinnen und Unternehmer durch öffentliche und private Investitionen, um einkommensschwachen Frauen Kinderbetreuung zu ermöglichen; die Prüfung gemeinschaftsbasierter Modelle oder anderer, auf lokale Gemeinschaften zugeschnittene Modelle; und die Anerkennung der Langzeitpflege von älteren Menschen als integraler Bestandteil dieser Arbeit.

Diese Studie bietet eine Vorlage, die in ganz Afrika angewandt werden könnte und stellt einen entscheidenden Schritt zur Gleichstellung der Geschlechter auf dem Kontinent dar. Die sich daraus ergebenden Erkenntnisse haben das Potenzial, Einfluss auf die Bemühungen der kenianischen Regierung zu nehmen, im Rahmen ihrer Entwicklungsinitiative Vision 2030 politische Leitlinien für den Bereich unbezahlte Betreuungsarbeit zu erarbeiten.

Eines der sieben Hauptziele der Agenda 2063 der Afrikanischen Union besteht in der Notwendigkeit, die Gleichstellung der Geschlechter ebenso zu erreichen wie Gleichheit in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Soziales. Dieses Ziel bleibt jedoch unerreichbar, solange wir nicht eine ganzheitliche, evidenzbasierte, auf Afrika ausgerichtete Care-Ökonomie entwickeln, die es Frauen ermöglicht, gleichberechtigt am Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Übersetzung: Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/sNNvfzcde